Katholisches Gesangbuch

Tagzeitengebet heute   

Bekanntlich hat das religiöse Leben, insbesondere kirchlich gebundenes Leben in jüngster Zeit einen starken Wandel erfahren. Zahlreiche überlieferte Ausdrucksformen des Glaubens und Betens wurden aufgegeben. Dennoch sprechen viele Untersuchungen, die sich mit der Religiosität des Menschen der Gegenwart in unsern soziokulturellen Verhältnissen beschäftigen, von dem unverändert vorhandenen religiösen Verhalten, von religiösen Grundeinstellungen, Praktiken und Sehnsüchten, die das Leben der Menschen mehr oder weniger stark bestimmen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen zeigen, dass ein Grossteil unserer Zeitgenossen nach wie vor betet und sich dadurch die religiöse Dimension des Menschen auch in einer scheinbar nicht religiösen Welt behauptet. Trotzdem stellen wir fest, dass im öffentlichen Bewusstsein und Verhalten heutiger Menschen kaum mehr ein Beten im Sinn der Weisung von Jesus zu erkennen ist. So stellt sich die Frage: Wie steht es um das öffentliche Gebet der Kirche?

Stundengebet-Reform

Das Vaticanum II  befasste sich intensiv mit der Reform der Tagzeitenliturgie und widmet ihr ein eigenes Kapitel (IV) mit 19 Artikeln. Eine Arbeitsgruppe des «Römischen Liturgierates» arbeitete sieben Jahre lang an der Reform, die 1970 von Paul VI. approbiert werden konnte. Nach rund 40 Jahren muss man feststellen, dass über die Erneuerung der Bücher hinaus die erhoffte Erneuerung als Gebet des ganzen Volkes Gottes weithin gescheitert ist. Man blieb zu sehr dem priesterlichen Breviergebet und dem monastischen Offizium verhaftet und fand keine realistische Gottesdienstform, das Tagzeitengebet wieder zum Gebet des ganzen Volkes Gottes zu machen. Insgesamt besteht der Eindruck, dass diese differenzierte, aber doch komplizierte Gebetsordnung kaum für das Volk Gottes als Ganzes geeignet ist, – selbst wenn sie wie beispielsweise im KG überschaubar und leicht fasslich eingeführt wird (KG 258, 259).

Gemeinschaftsgebet unverzichtbar

Von Anfang an ist das Gebet ein Wesensbestandteil einer christlichen Existenz. Wenn die Kirche betet, verwirklicht sie ihr Wesen, findet sie in besonderer Weise zu sich selbst. Trotzdem ist vielerorts kaum zu spüren, dass das gemeinschaftliche Gebet eine unverzichtbare Grundlage des Daseins der Kirche ist: Gebet als der Atem des Glaubens (KG 544). Stattdessen scheint für die Pastoral die Sicherstellung der gottesdienstlichen Minimalversorgung im Vordergrund zu stehen. Wie in Dienstleistungsbetrieben wird von Bedürfnisorientierung, wie im Wirtschaftsleben von Angebot und Nachfrage gesprochen. Solche Dienstleistung und Bedürfnisorientierung braucht aber ein geistliches Fundament und müsste auf Gebet und Gottesdienst gründen. Sonst verirrt sich kirchliches Handeln bald in einer geistlichen Sackgasse. Wenn nicht, gäbe die Kirche ihren eigentlichen Auftrag auf und machte sich leicht ersetzbar.

Gebetsperspektiven der Zukunft

Die Tradition der Tagzeitenliturgie hat in sich Erneuerungspotenzen von christlichem Glauben und  Beten, die durchaus weiterführen können. Folgende Aspekte wären zu prüfen:

  • Es muss neben der monastischen Hochform (von Laudes, Vesper und Komplet) einfachere Formen geben.
  • Gefragt ist eine Einfachheit von Inhalt und Form, die Laien ohne Mithilfe des Seelsorgepersonals machbar ist.
  • Solche Formen sind einzubinden in anthropologische Vorgaben, die heilsgeschichtlich begründbar sind.
  • Sie müssen der heutigen Glaubenssituation gerecht werden und die Lebenssituation der Menschen (Arbeitssituation, Rentner, Betagte, Junge usw.) berücksichtigen.
  • Sie sollen dem Bedürfnis nach Meditation Rechnung tragen und der Sprachlosigkeit vieler neue Ermutigung und Impulse geben.
  • Formal ist zu achten auf einen Rhythmus von Wiederholung und Wechsel, bei dem die entlastende Funktion des Ritus wirksam wird.

Das «Kleine Tagzeitengebet»

Im Tagzeitengebet – wie immer es gestaltet wird – geht es stets um dies Eine: Um den Lobpreis und die Vergegenwärtigung der österlichen Geheimnisse unserer Erlösung. So vergewissern wir uns an den Eckpunkten des Tages, dass Gott im auferstandenen Christus sein «endgültiges Ja zum Menschen und zur Welt» zugesprochen hat (D.Bonhoeffer).  

Daraus ergibt sich die einfache formale Grundstruktur solcher Feiern: Vergegenwärtigung des Heils im Wort und die lobpreisende Antwort in Gebet und Bitte, – beides eingefasst in eine kurze Eröffnung und einen entsprechenden Abschluss. Das komplementäre Geschehen «göttliche Heilsinitiative» und «menschliche Antwort» lässt sich freilich nicht streng trennen. 

Zwar ist dies auch der Gehalt des monastischen Stundengebets (vgl. KG 258 – 290), doch eine zu enge und steriotype Anlehnung an dieses entfaltete Modell führt leicht zu Formen, die als blosse Häufung und Aneinanderreihung verschiedener Elemente empfunden werden. Deshalb ist die Kenntnis der einzelnen Teile und deren Bezüge zum Ganzen von entscheidender Bedeutung. Nur so können die

Grundanliegen von der einfachsten bis zur festlich entfalteten Form von den Mitfeiernden verstanden werden. Im Folgenden wird versucht, die spirituelle Leitidee und den geistlichen Sinngehalt einer Tagesgebetszeit einfach und kurz darzustellen.

Vgl. Artikel: Das Kleine Tagzeitengebet                                                                                                                                       

Walter Wiesli




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