Säkularisierung
Das Zweite Vatikanische Konzil rückt ab von formalen und stilitischen Anweisungen für Gottesdienstmusik. «Die Kirche hat niemals einen Stil als ihren eigenen betrachtet... Auch die Kunst unserer Zeit und aller Völker und Länder soll in der Kirche Freiheit der Ausübung haben, sofern sie nur den Gotteshäusern und den heiligen Riten mit der gebührenden Ehrfurcht und Ehrerbietung dient» (SC 123).
Beim Stichwort «Säkularisierung» geht es fast immer in irgendeiner Form um das Verhältnis von «weltlich-geistlich». Als Befreiung von kirchlicher Vormundschaft beginnt dieser Prozess bereits im ausgehenden Mittelalter im Humanismus, setzt sich fort in der Aufklärung und erhält in der Moderne verschiedene wissenschaftliche Deterimanten bei Feuerbach, Marx, Nietzsche oder Freud.
Im 20.Jh. gewinnt der Begriff in der Religionsgeschichte an Bedeutung. So beispielsweise im Blick auf den Schwund des kirchlichen Einflusses und auf das Weiterwirken christlicher Wertvorstellungen. Seit den 30erjahren des letzten Jahrhunders ist auch der Begriff «Säkularismus» im Gespräch, der eine ausschliesslich diesseitig-materiell ausgerichtete Lebenshaltung im Blick hat.
Neben der Religionsgeschichte sind in der Diskussion um die Entsakralisierung die Thesen mehrerer protestantischer Theologen von Gewicht: Dietrich Bonhoeffer mit seiner Forderung nach einem Glauben ohne Religion,[1] Karl Barth, der nicht will, dass man in einer säkularisierten Welt der Religion wieder einen Raum freikämpft,[2] Gerhard Ebeling, der eine nicht-religiöse Interpretation der biblischen Begriffe fordert,[3] ferner die erfolgreichen Bücher des anglikanischen Bischofs Robinson[4] und des amerikanischen Theologen Cox.[5]
Katholischerseits stammen bedeutsame Anstösse zum Thema von Friedrich Gogarten.[6] Seine These lautet: Die Säkularisation, ganz egal, was in der Neuzeit aus ihr geworden ist, ist eine legitime Folge des christlichen Glaubens. Autonomie im radikalen neuzeitlichen Sinn konnte der Mensch nur durch die im christlichen Glauben erschlossenen Erkenntnisse gewinnen. Säkularisation ergibt sich aus dem Wesen des christlichen Glaubens.
Johann Baptist Metz schliesst sich dieser These an, stützt sie aber stärker auf der Schöpfungstheologie ab.[7] Er verwendet die Kurzformel von der «weltlichen Welt»; diese ist nach ihm erst in der Neuzeit zur umfassenden Wirklichkeit geworden. Und dies verdankt sie nicht zuletzt dem christlichen Glauben. Metz beruft sich dabei auf das Ereignis der Menschwerdung Gottes: Das Inkarnationsprinzip wird zum Säkularisierungsprinzip. «In Jesus Christus geschieht die radikale und ursprüngliche Freisetzung der Welt ins Eigene und Eigentliche».[8] Der christliche Glaube bewirkt die fundamentale Säkularität der Welt. Bemerkenswert in diesen Zusammenhang die Entstehung einer «postsäkularen Religiosität» im letzten Viertel des letzten Jahrhunderts, die den Prozess der Säkularisierung voraussetzt und angebliche eine Folge davon ist.[9] In der christlich verstandenen Säkularität der Welt geht es darum, dass es nichts in der Welt gibt, das als «heilig» dem weltlichen Zugang entzogen und der nur der Religion vorbehalten wäre: also kein innerweltliches Geheimnis, vor dem die Wissenschaft anhalten müsste, weil es nur «religiös» erklärt werden dürfte. Es gibt auch keine innerweltliche Struktur oder Ordnung, die der Menschen nicht hinterfragen dürfte.
Kirchenmusikalisch wurde diese Thematik unter den Begriffen «sakral-profan» abgehandelt.
Vgl. dazu die Beiträge: Kirchenmusik in römischen Dokumenten vor dem Vatikanum II / U-Musik / Liturgiekonstitution.
[1] D.Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 81958, bes. 233; 239.
[2] K.Barth, Gottes Offenbarung als Aufhebung der Religion, in: Die kirchliche Dogmatik 1,§17
[3] G.Ebeling, Die "nichtreligiöse" Interpretation biblischer Begriffe, in: Wort und Glaube, Tübingen 1960, 90-160.
[4] J.H.T.Robinson, Gott ist anders (Honest to God, London 1963), München 1963; ders., Eine neue Reformation (The New Reformation, London 1965), München 1965.
[5] H.Cox, Stadt ohne Gott? (The Secular City, New York 1965), Stuttgart 1966 (21967).
[6] F.Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit. Stuttgart 1953
[7] J.B.Metz, Theologie der Welt. Mainz 1986
[8] ebd.31
[9] Chr.Schwöbel, Art. Pluralismus II, in: TRE Bd 26 (1996) 724-739