Katholisches Gesangbuch

Übersetzungen   

Die Probleme

Ein Ernstnehmen der Tradition und der Stiftungstreue kann nicht bedeuten, dass die Liturgie sich nicht verändern kann oder darf (SC 37). Dies wurde in den Jahren nach dem Vaticanum II deutlich am Problem der muttersprachlichen Gottesdienste. Zunächst hat sich gezeigt, dass die in der Messreform erarbeiteten Übersetzungen oft noch stark dem lateinischen Sprachstil verhaftet blieben und dass daraus die Vielen, denen die römisch-lateinische Sprachkultur fremd ist, sic damit schwer taten. Das betraf sogar Texte, die in der nachkonziliären Reform neu geschaffen wurden. Lebende Sprache wandeln sich naturgemäss: Worte ändern ihre Bedeutung oder geraten in Vergessenheit, andere tauchen neu auf, verschwinden wieder oder setzen sich durch. Dichter und Schriftsteller, Journalisten und Kommentatoren der Massenmedien, soziale und politische Entwicklungen prägen und verändern die Sprache und die Sprechgewohnheiten. Die Sprache des Gottesdienstes kann davon nicht unberührt bleiben, wenn sie die Verbindung mit der Lebenswelt der Gläubigen nicht verlieren will.

Die Instruktion vom röm. Liturgierat 25.01.1969

Diese Problematik erkannte die «Instruktion über die Übersetzung liturgischer Texte für Feiern mit dem Volk», die vom Römischen Liturgierat am 25.1.1969 veröffentlicht wurde, in aller Schärfe. Sie basiert auf den Ergebnissen eines internationalen Kongresses für die Übersetzung liturgischer Texte vom 9.- 13.11. 1965 in Rom. In diesem Dokument finden sich bedeutsame Weisungen und Hinweise. Es genüge nicht, einen Text wortwörtlich zu übersetzen. Vielmehr komme es darauf an, zunächst den Inhalt «gedanklich freizulegen, um ihm dann eine andere, genaue und treffende Form zu geben». Das sei aber bei vielen Ausdrücken nur möglich, wenn «man sie wieder in ihren geschichtlichen, gesellschaftlichen und gottesdienstlichen Zusammenhang hineinstellt». Die verwendete Sprache solle die gehobene Umgangssprache sein. Im allgemeinen sei es besser, deren einfache Wörter für die Wiedergabe christlicher Aussagen zu verwenden, «in der Erwartung, dass sie den christlichen Sinn annehmen, statt dass man auf seltene Worte zurückgreift, die nur ein Gelehrter versteht». Die versammelte Gemeinde solle auf jeden Fall «den übersetzten Text zu ihrem eigenen lebendigen Gebet machen können, und jedes ihrer Glieder solle sich in ihm aussprechen können». Beim gemeinsamen Beten, insbesondere für Akklamationen, sei die phonetische und rhythmische Qualität besonders zu beachten. Aber das römische Dokument weiss auch, dass es mit noch so guten Übersetzungen allein nicht getan ist. Es schliesst deshalb mit der eindrucksvollen und befreienden Feststellung: «Man kann sich für die Feier einer von Grund auf erneuerten Liturgie nicht mit Übersetzungen begnügen; Neuschöpfungen sind erforderlich.»

Liturgiam authenticam vom 28.03.2001

Die 5. Instruktion «Zur ordnungsgemässen Ausführung der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die heilige Liturgie» Liturgiam authenticam vom 28.03.2001 verfolgt eine wesentlich restriktivere Praxis. Grundsätzlich wird die Zuständigkeit der jeweiligen Bischofskonferenzen (SC 22, §2, 39) enger gefasst. Von der inkulturatorischen Weite (den Inhalt «gedanklich freizulegen, um ihm dann eine andere, genaue und treffende Form zu geben») ist  nichts mehr zu spüren. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung will «beim Erarbeiten der Übersetzungen deutlicher und eingehender beteiligt sein» (76); alle Mitarbeitenden, «die nicht Bischöfe sind und denen …ein Auftrag auf Dauer erteilt wird, bedürfen vor Aufnahme ihres Dienstes von der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung des «Nihil obstat» (100). Der Heilige Stuhl «reserviert sich das Recht, Übersetzungen in jede beliebige Sprache anzufertigen und für den liturgischen Gebrauch zu approbieren» (104). Die Kongregation beansprucht die Recognitio (Anerkennung) für sämtliche Texte, «bevor sie in irgend welchen Büchern für den Gebrauch der Zelebranten und der Gläubigen insgesamt herausgegeben werden» (106). Der Begriff «recognitio» findet sich im Dokument 33mal. «Neue volkssprachlich erstellte Texte dürfen nichts enthalten, was der Aufgabe, der Bedeutung, der Struktur, dem Stil, dem theologischen Gehalt oder dem überlieferten Wortbestand und anderen wichtigen Eigenschaften der Texte widerspricht, die sich in den Editiones Typicae finden» (77/107). Sie sollen «innerhalb von fünf Jahren ab der Herausgabe dieser Instruktion für die notwendige Recognitio an die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung gesandt werden» (108).

Der Vergleich der beiden Übersetzungs-Dokumente von 1969 und 2001 zeigt einen bemerkenswerten Denkwandel. Dies dokumentiert u.a. die Schwierigkeit des Bemühens, über 400 Sprachen, in denen heute Liturgie gefeiert wird, möglichst wörtlich (inhaltlich, theologisch, spirituell) auf die lateinische Vorlage zu verpflichten. Sprachwissenschaftler betrachten dies als nicht realisierbare Überforderung. Unbestritten bleibt die Einsicht von 1969, dass nichts davon dispensieren kann, «den übersetzten Text zum eigenen lebendigen Gebet machen» machen zu sollen.

Walter Wiesli




WarenkorbWarenkorb