Katholisches Gesangbuch

Sprachlos   

Es hat uns vor Gott die Sprache verschlagen. Nicht seiner Grösse und Heiligkeit wegen. Wir sind sprachlos, weil Gott soviel Leid zulässt, wir sind verstummt, weil beten scheinbar doch nicht hilft. Und ist nicht Gott selber stumm, beten wir nicht gegen eine Wand? Viele erfahren Gott als abwesend und fern. Trotzdem leiden sie unter der Sprachlosigkeit. Es würde so gut tun, aus ihr auszubrechen, – alles, was uns umtreibt, ängstigt und bewegt, aussprechen zu können. Wenn wir trotzdem wieder zu beten versuchen, spüren wir, dass die Worte, die wir einmal gelernt haben, heute vielfach nicht mehr stimmen. So ist es: Wir stecken in einer Gebetsnot und Gebetskrise. Wahrscheinlich muss ein neuer Sprachlehrgang «Beten» geschrieben werden.

Dieses Thema ist eines der schwierigsten in der Gesangbucharbeit. Das Auffinden guter Texte ist mühsamer als das Entdecken oder Schaffen neuer Melodien. Gefragt ist eine Sprache, die vom Leben redet,  ̶  keine frommen Floskeln, keine grossen Worte, die im Alltag doch nicht standhalten. Die edle und zugleich nüchterne Sprache der Liturgie tut gut, daneben möchten wir Gott aber auch ganz schlicht und einfach Du sagen können. Dazu fehlt uns sehr oft der Sprachschatz.

Das KG kann dazu einen Beitrag leisten. 160 Gebete und Denkanstösse reden vom Leben, vom ganz persönlichen Leben: Vom Alt- und Jungsein, von Glück und Scheitern, von Freude und Leid. Eltern, die ihr erstes Kind erwarteten, schrieben das «Gebet für das werdende Kind» (KG 713.2), Verliebte beginnen zu beten: «Du bist nicht der erste meiner Gedanken, Gott...» (KG 666.2) und in schweren Stunden der Ehe finden sich Worte wie: «Vater im Himmel, ich hätte nie gedacht, dass wir einander so wehtun können» (KG 664.2). Den Überschriften kann man bereits das unterschiedliche Klima der Gebete entnehmen: «Unser Kind kann nicht mehr glauben, Überfordert, Wenn alles versandet, Bitter ist das Brot des Alters, Sehnsucht, Alles freut sich an der Sonne, Maria – Schwester im Glauben». Kinder sprechen von ihrer Angst, wenn Eltern streiten (KG 715.5), reden vor Gott vom eigenen Streit (KG 704.4), denken über ihre schlechten Launen nach und sind dankbar, dass man Gott ganz einfach alles so sagen kann (KG 704.2). Das Hineinlauschen in sich selber, in die Welt und in andere Menschen wird zum Gebet oder holt einfach zurück in die Stille und Besinnlichkeit. Das KG will zwischen beidem gar nicht unterscheiden, denn beides geschieht in Gottes Nähe. Man merkt auf, wenn man liest: «Manche Menschen wissen nicht, wie wichtig es ist, dass sie einfach da sind...» und man geht dann wohl in sich, wenn der Text schliesst: «Sie wüssten es, würden wir es ihnen sagen» (KG 714.4). Neugierig hört man die Frage: «Wirst du für mich, wird ich für dich, der Engel sein?» und schmunzelnd gewahrt man die Antwort: «Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel» (KG 714.5.6); im KG ist das Reich der Engel nicht nur über den Wolken zu finden. Gebetsklassiker führen auch zurück in den Reichtum der Tradition: Der hl.Thomas Morus, Franz von Assisi, Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer. Zwei grundsätzliche Überlegungen zum Beten (Heute beten KG 695, Beten in der Familie KG 712) nehmen uns ernst in unsern Vorbehalten und Schwierigkeiten im Beten, zeigen aber auch einfache und durchaus plausible Zugänge. Ein siebenseitiges Register (S.921–927) macht Lust zum Nachschlagen und spiegelt häufige Lebenssituationen, die eigentlich alle kennen – und Anlass zum Beten werden können.

Wer seine persönliche Gebetssprache findet, wird auch einen Zugang zu den Psalmen entdecken. Aus dem Gebet des Alten Bundes und der Kirche hören wir dann ebenfalls die intimen persönlichen Töne heraus: «Du umschliesst mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich» (Ps 139). Solches Beten fügt uns ein in die weltumspannende Gemeinschaft  der Betenden, eine Gemeinschaft, die uns stärkt, und wenn wir zeitweise verstummen, für uns eintritt.

 Walter Wiesli




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