Katholisches Gesangbuch

Jazz   

Jazz und Jazzeinflüsse auf die geistliche Musik im 20.Jahrhundert

Weniger als bei Anleihen aus der U-Musik gab es im Umfeld des Jazz epigonenhaftes Ausprobieren. Ernsthafte Jazzmusiker verstanden ihre Musik immer schon als so ernsthaft und authentisch, dass sich ein «geistliches aufladen» erübrigte. Die Komponisten im 20.Jh. gingen je eigene Wege und haben sich gegenseitig kaum beeinflusst. Verwandte Stilelemente sind in der jeweiligen Jazzszene zu finden. Es kann dieses komplexe Musikgeschehen nicht in ein paar Zeilen abgehandelt werden. Ein paar Stichworte sollen genügen. Im Folgenden greifen wir ein paar Werke heraus, die verschiedene Schaffenswege beleuchten.   

  • John Coltrane, A Love supreme (1926-1967)

Als zentrale Figur der Entwicklung um 1965 trat der Tenorsaxophonist John Coltrane (1926-1967) in den Vordergrund. Coltrane hatte bereits Jahre zuvor die musikalischen Ausdrucksmittel einer Reihe von Free Jazzern entscheidend beeinflusst, ohne sich jedoch dabei selbst völlig von den tonal und rhythmisch gebundenen Formen des Spätbops zu lösen. Alle letzten Werke, vor allem «A Love Supreme» gaben Zeugnis von einer neuen, ins Musikalische übersetzten Spiritualität.

  • Mary Lou Willams, Black Christ of the Andes

Nach ihrer Konversion zum Katholizismus (1955) schrieb sie hauptsächlich geistliche Musik. Das Werk «Black Christ of the Andes»  widmete sie Martin von Porres (1569-1639), einem der beliebtesten Heiligen Lateinamerikas. Er war OP-Laienbruder (Mulatte), gründete Spitäler für die Ärmsten, tätig in der Krankenpflege starb er selber an Typhus, heiliggesprochen 1962. In dieser Musik hört man impulsiven und authentischen Jazz.   

  • Jaromir Hnilicka, Missa Jazz

Nach 1950 werden die Beiträge europäischer Musiker spezifischer und authentischer. Anleihen beim Blues oder Spiritual werden seltener. Als sehr interessantes Beispiel aus der Cool-Phase ist die rein instrumentale Messe von Jaromir Hnilicka (*1932) erwähnenswert. Als Mitglied des Gustav-BromOrchesters (seit 1956) bringt er dessen Klangsinnlichkeit, Geradlinigkeit und Askese der Mittel ein. Musikalischer Höhepunkt der «Missa Jazz» ist wohl das ohne Rhythmusgruppe gespielte Credo, das fast so etwas wie eine neue Dimension des Hörens im Jazz erahnen lässt.

  • Hermann Gehlen, Jazzmesse 66

Seine Jazz-Messe 66 versucht, sowohl jazzmusikalischen als auch den liturgischen Anforderungen gerecht zu werden. Trotz der strengen  Form der lateinischen Messtexte lässt das Werk dennoch genügend Raum für Improvisationen der Solisten. Das Werk in mit seinen hohen Ansprüchen an die Ausführenden zeigt, dass Jazz in seiner Ernsthaftigkeit keine Unterhaltungsmusik sein will und letztlich elitär wirkt.

  • Heinz Werner Zimmermann, Vesper

«Aggiornamento» war die Losung des II.Vatikanischen Konzils auch im Blick auf die Kirchenmusik. In der Jazzimprovisation erblickte man die nächstliegende Möglichkeit, die Wirklichkeit des heutigen Alltags musikalisch einzubringen. Grundsätzlich wird vermehrt versucht, den synkopischen Stil des Jazz auch beim Vertonen von liturgischen Texten aufzugreifen und in die chorische Polyphonie hinein zu tragen. Sehr gelungene Beispiele dafür sind Zimmermanns «Vesper» und der Zyklus «Weihnacht».

  • Jazzanleihen im Kirchenlied

Die fünf eben gezeigten Beispiele machen deutlich, dass von einem geistlichen Jazz als Stil im 20. Jahrhundert nicht gesprochen werden kann. Zum einen zeigt sich, dass genuiner Jazz dieser Zeit bei jedem Komponisten seine unverwechselbaren Konturen mit hohen künstlerischen Ansprüchen hat. Es ist nicht zu erwarten, dass davon Wesentliches ins Kirchenlied eingehen könnte. Typische Elemente werden meistens nur interpoliert, − so etwa Improvisationen − oder sind spezifische Spezialitäten von Interpreten, wie etwa die persönliche Artikulation. Was der Gemeinde zugemutet werden kann, sind geschickte und sprachlich gut gesetzte Synkopen (KG 538) und gelegentlich eine Bluenote  (bewusst unsauberes Angehen der Terz und Sext). Das Jazzspezifische ereignet sich dazwischen oder darunter in der Begleitung und im Arrangement. Da kann dann sehr wohl auch eine dorische Melodie (bei P. Janssens KG 444) in sehr jazziger Aufmachung daherkommen.      

Walter Wiesli




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