Sprachnot
Die römische Instruktion "De interpretatione textuum liturgicorum" vom 25.01.1969 fordert sowohl sprachlich anspruchsvolle Qualität einerseits und die Orientierung an der Alltagssprache andererseits. Wie schwierig dieser Anspruch zu realisieren ist, zeigt die Sprachnot heutiger Beter. Viele wichtige theologische Begriffe - man denke an Gnade oder Erlösung - drohen von Lehrformeln zu Leerformeln zu werden. Diese finden dann zwar in allen möglichen Kontexten Verwendung, können aber letztlich die Heilsgeschichte, um deren Erinnerung und Feier es im Gottesdienst geht, für heutige Menschen kaum mehr verstehbar erschliessen. Wenn dies nicht mehr möglich ist, stellt sich grundsätzlich die Frage nach dem Sinn des Gottesdienstes. Sicher darf man sich nicht damit abfinden, dass sich zum Gottesdienst nur der Kreis der Insider versammelt, der sich damit abgefunden hat, dass es eben immer weniger werden, die eine «klassisch gestaltete Liturgie» mitzufeiern vermögen.
Es fehlt nicht an Versuchen, der drohenden Sprachlosigkeit zu begegnen. So z.B. mit Kommentaren und Kurzkatechesen, die das zeichen- und symbolhafte Handeln zu kommentieren versuchen, um zugleich gegen die Erstarrung von Symbolen wie gegen die Erosion des Glaubenswissens anzugehen. Dabei wird nicht selten zerredet, was eigentlich gefeiert werden sollte. Wie aber kann man die liturgische Tradition bewahren, ohne sie einfach zu wiederholen und trotzdem den Inhalten gerecht werden, ohne die Gottesdienstbesucher zu überfordern?
Man wird sich vor Extremen hüten müssen, die zu keinen Lösungen führen. So beispielsweise das Entgegenkommen, schwierige Schrifttexte mit profanen «heiligen Texten» (Kleine Prinz, Häuptling Seattle) zu ersetzen oder zum flächendeckenden Tesaurus musicae sacrae lateinischer Hochämter zurückzukehren.
Wie von Gott Reden?
Die Herausforderung liturgischer Sprache ist von grundsätzlicher Art: Wie überhaupt von und zu Gott reden? Einerseits muss sie den Glauben angemessen zum Ausdruck bringen, andererseits soll sie Gott nicht auf das Sprachvermögen des Menschen festlegen.
Des weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Texte den Mitfeiernden Möglichkeiten einräumen, die je eigenen Erfahrungen beim Verstehen mit einzubringen, was zusehends schwieriger wird, weil die individuellen Glaubenszugänge immer vielfältiger werden. Noch völlig unzureichend gelöst ist das Problem der inklusiven Sprache, die den spezifischen Bedürfnisse von Frauen in der Liturgie Rechnung trägt. Gesangbuchschaffende kennen das Problem: Was dem einen schon entschieden zu weit geht, ist für andere ein schlechter Kompromiss, der enttäuscht.
Es ist noch relativ leicht, anstössige Texte, wie beispielsweise einem überholten Triumphalismus oder einer problematischen Opfertheologie zu eliminieren. Unbestritten war bei der Schaffung des KG auch, dass wir uns nicht von einer rund tausendjährigen Glaubens- und Singtradition lossagen können. Dennoch, wenn man nicht mit ganzem Herzen beten und singen kann, sondern stets mit hermeneuti-schen Kniffen sperrigen Aussagen ihren Sinn abringen muss, gerät man leicht in ein distanziertes Verhältnis zum Feiergeschehen, das der Sache schadet und in ironischer Distanzierung enden kann.
Im Blick auf die Sprache werden deshalb die Mitfeiernden eines Gottesdienstes eingestehen müssen, dass ein gewisses Mass an Toleranz und Nachsicht zum gemeinsamen Feiern unabdingbar sind, auch wenn Unzulänglichkeiten in der liturgische Sprache als besondern störend empfunden werden.
Sinnhaftigkeit und Mysterium
Liturgie ist ein Geschehen vor und mit Gott. Dabei kommt die menschliche Sprache zwangläufig an ihre Grenzen. Wir kommen in einen Bereich, wo Sprache und Begrifflichkeit versagen. Dies darf allerdings nicht dazu führen, sich der Verantwortung für die gebotene Verständlichkeit des Feiergeschehens zu entziehen und das Nichtrationale als solches zum Göttlichen hochzustilisieren. Die Einsicht in die Sinnhaftigkeit des Geschehens bleibt ein Kriterium für rechtes Feiern. Denn so sehr das Vermissen Gottes unserer Zeit ein Thema ist, geht im Gottesdienst trotzdem um die Zuwendung Gottes, die bezeugt und gefeiert werden will und deshalb die Feier prägen muss.
Die Tatsache, dass es immer noch Millionen sind, die Sonntag für Sonntag Gottesdienst feiern wollen, müsste ein Ansporn sein, sich intensiv auch und speziell der sprachlichen Gestaltung von Gottesdiensten zu widmen.
Walter Wiesli