Katholisches Gesangbuch

Liedökumene im KG   

Aufbruch der Liedökumene

Angesichts der Tatsache, dass die Suche nach Einheit in einer Weltgemeinschaft, «die im Wesentlichen von globalen wirtschaftlichen und finanziellen Mächten geprägt ist,» (Marlin Van Elderen, ÖRK) wird man wird man die Bedeutung einer christlichen Liedökumene nicht überschätzen wollen. Trotzdem hat im Blick auf die Grosswetterlage der Ökumene in den letzten fünfzig Jahren kaum etwas anderes das gemeinsame christliche Zeugnis und das kirchliche Miteinander mehr gefördert als das gemeinsame Lied.

Ein Blick zurück zeigt, dass eine praktische Liedökumene seit der Reformation nie völlig abgebrochen ist. «Die getrennten Kirchen pflegten nicht nur das gemeinsame Erbe des mittelalterlichen deutschen Kirchenliedes weiter, sondern sie schufen aus dem überlieferten Gut und aus den Anregungen, welche die jeweilige Zeit bot, auch stets Neues, von dem vieles in eine andere Konfession hinüber wirkte. Solche Vorgänge lassen sich bis in unsere Zeit hinein beobachten. Sie bezeugen eine , längst ehe die ökumenische Bewegung existierte  ̶  ein Zeugnis, das umso überzeugender ist, als es gar nicht beabsichtigt war.» (GKL 1973). Freilich gab seit Anfang des letzten Jahrhunderts die liturgische Bewegung diesem Bemühen einen zusätzlichen Schub. «Am Ende dieses Weges zeigt sich der katholische Gottesdienst durch wesentliche Elemente des evangelischen bereichert, vor allem durch die Betonung des Wortgottesdienstes. Umgekehrt kommt die Hervorhebung der kommunikativen Elemente im Gottesdienstes, besonders die immer deutlicher erkennbare Konzentration auf die Abendmahlsfeier im evangelischen Bereich dem katholischen Gottesdienst entgegen.» ((A,Schilso, Quest.disp.132)

Die AÖL – Liedökumene als Institution

Was Hymnologen schon immer wussten, machten sich seit der letzten Jahrhundertmitte die meisten Gesangbuchschaffenden als Arbeitsmaxime zu Eigen: «Eine Beschäftigung mit dem Kirchenlied ist unter dem Blickwinkel nur einer Konfession heute nicht mehr möglich und verantwortbar.» (H.Riehm, Kirchenlied 2005). Im deutschsprachigen Raum führte diese Einsicht 1969 zur Gründung der «Arbeitsgemeinschaft für das ökumenische Lied» (AÖL). Schweizerseits gehörten zu den Gründungsmitgliedern die bedeutsamen Hymnologen P.Hubert Sidler OFM und Prof.Markus Jenny. Noch nie seit der Reformation hat sich ein konfessionell so breit gestreutes Gremium der grenzüberschreitenden Liedarbeit angenommen und noch nie standen demzufolge so verschiedenartige Probleme der Liedgestaltung an. Die AÖL war beauftragt, einheitliche Text- und Melodiefassungen zu erarbeiten, die dann für die Aufnahme in die konfessionellen Gesangbücher im deutschen Sprachbereich zur Verfügen stehen sollten. Es sind dies heute rund 530 Gesänge, die in den jeweiligen Büchern mit dem Buchstaben «ö» versehen werden. Er besagt, dass ein Lied in Melodie, Text und Strophenwahl vollständig der AÖL-Fassung entspricht. Ein gekennzeichnetes ö (ö in Klammer) wird gesetzt, wenn ein Lied in der Melodie und in Teilen des Textes (in mindestens einer Strophe) der AÖL-Vorlage entspricht. Die Kenntnisname solcher Einschränkungen sind für das ökumenische Feiern wichtig und werden daher im Anhang neuerer Bücher tabellarisch aufgeführt (im KG S.911, im RG S.1082). Das KG enthält 206 ö-Gesänge (davon 26 in Klammer), das RG 223 ö-Gesänge (davon 57 in Klammer). Aus der KG-Perspektive mag bemerkenswert erscheinen, dass 78 KG-Nummern in den 37 Diözesananhängen des Gotteslob 383mal aufscheinen. (ebd.).

Liedökumene weltweit

Seit geraumer Zeit hat sich ein in der Geschichte des Kirchenliedes neuer Trend angebahnt: Der Austausch von Kirchenliedern weltweit. Es sind dies grenzüberschreitende Anleihen aus verschiedenen Ländern (F,NL,GB,S,N,UdSSR,USA), die sich mit aussagestarken Texten und unverwechselbaren Melodien rasch eingesungen haben. Mit solchen Übertragungen haben uns Übersetzer wie Jürgen Henkys, Markus Jenny, Dieter Trautwein u.a. eine neue, zeitnahe Kirchenliedsprache erschlossen. Verdienste an diesem Prozess haben auch deutschsprachige Dichterinnen und Dichter, so etwa Silja Walter, Irmgard Spiecker, Lothar Zenetti, Kurt Marti, Kurt Rose u.a. Während viele neue Texte des 20.Jahrhunderts Melodien vergangener Epochen aufgreifen (27 Gesänge aus dem 16.Jh., 21 Gesänge aus dem 17.Jh.), gaben Komponisten wie Rolf Schweizer, Manfred Schlenker, Friedemann Gottschick u.a. dem neuen Gemeindelied ein von der Tradition abweichendes unverwechselbares Gepräge. Dabei kam es zu einem immer selbstverständlicheren Austausch zwischen den christlichen Konfessionen, – die Freikirchen nicht ausgenommen. Am ersten KG-Lied «Gott hat das erste Wort»  lässt sich die konfessions- und grenzüberschreitende Dynamik dieser Lieder exemplarisch aufzeigen. Es durchwandert zwischen seiner Entstehung 1965 bis 1998 fünf Nationen, fünf Konfessionen und über zehn Gesangbuchausgaben.

CH-Kirchenleitungen ökumenisch

Das Zusammengehen und vielfache Kooperationsbemühungen seitens der Kirchenleitungen in der von der Diaspora durchwirkten Schweiz haben Tradition. So erinnern Weihbischof Dr.Peter Henrici und der Kirchenamtspräsident der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich Pfarrer Ruedi Reich ihre Pfarreien und Kirchgemeinden an das uns alle Verbindende: «Längst ist uns bewusst, dass unsere Kirchen viel mehr miteinander verbindet als trennt. Wir sind davon überzeugt, dass wir alle, ob wir nun der römisch-katholischen oder der evange-lisch-reformierten Kirche angehören, Glieder an dem einen Leib Christi sind. Alles, was für unser christliches Leben entscheidend ist, ist uns gemeinsam: die eine Taufe, die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes, das Bekenntnis zu Jesus Christus, die Verpflichtung zu einem Leben aus dem Geist des Evangeliums.» (Brief der kath.und ref.Kirchenleitungen Sept.1997).

Darum wundert es nicht, dass die kirchlichen Auftraggeber das Anliegen der Ökumene in ihren neuen Gesangbüchern mit Nachdruck verwirklicht wissen wollten. So liest man im Konzept des RG kurz und bündig: «Ökumenischer Bezug. / Ökumenische Fassungen haben den Vorrang» (MG 3/1985). Die Deutschschweizerische Ordinarienkonferenz nennt als ihre Priorität: «Dem ökumenischen Liedgut ist ein breiter Raum zu gewähren. Wo ökumenische Fassungen vereinbart sind, erhalten sie den Vorrang» (DOK 1985). Das Anliegen wird nochmals in den Einleitungen der Bücher betont. Im RG: «Das reformierte Gesangbuch ist durch ökumenische Weite gekennzeichnet» (RG S.10). Die Schweizer Bischöfe halten im Geleitwort zum KG fest: «Es bedeutet für uns Mitglieder der Bischofskonferenz eine Genugtuung, dass dieses Buch viele Gesänge enthält, die sich gleichlautend im Evangelisch-reformierten Gesangbuch der Schweiz und in den Gesangbüchern der andern deutschsprachigen Länder finden. Uns Bischöfen ist die ökumenische und internationale Gemeinsamkeit bedeutsam» (KG S.2).

CH-Liedökumene konkret

Dem Auftrag und Willen zur Zusammenarbeit mussten klar umschriebene Strukturen und Verbindlichkeiten folgen. Fürs Erste wurde ein kontinuierlicher Informationsfluss gesichert durch den Einsitz eines Kommissionsmitglieds aus der jeweiligen Schwesterkommission (M.Jenny in der KG-Kommission, W.Wiesli in der RG-Kommission). Alle verbindlichen Entscheide wurden gemeinsam vorbereitet und in sechs Plenarsitzungen diskutiert und verabschiedet. Es war dies eine Phase des behutsamen Umgangs mit der eigenen Tradition und des fairen Streites im Ringen um das Gemeinsame. Die Achtung vor der Verwurzelung in der eigenen Glaubensgeschichte führte gelegentlich zur schmerzlichen Einsicht, dass dem Bemühen um Einheit Grenzen gesetzt sind. Auch führte die Überzeugung, dass Ökumene sich zunächst am Ort ausweisen muss, in Einzelfällen zur Abkoppelung von der grossräumigen Ökumene mit dem Gotteslob und dem Evang. Gesangbuch Deutschlands. Trotzdem zeitigte die Zusammenarbeit insgesamt erfreuliche Resultate: Neben den bereits erwähnten ö-Gesängen gibt es nun zusätzlich eine Schweizer Liedökumene mit 238 Gesängen, die in den Büchern der drei Landeskirchen (CN, KG, RG und dem Ökumenischen Gesang- und Gebetbuch der Schweizer Armee) mit einem „+“ gekennzeichnet sind.

Den hohen Stellengrad des Pluszeichens (+) unterstreichen zusätzlich die beiden Leitlieder von KG und RG. Das KG eröffnet das Liedrepertoire mit dem bereits erwähnten «Gott hat das erste Wort», das vom reformierten Pfarrer Markus Jenny aus dem Holländischen übertragen und zunächst von reformierten Kirchentagen verbreitet wurde. Das RG beginnt gleich mit drei Magnificat-Liedern: «Hoch hebt den Herrn meine Seele  ̶  das ist das Moto über dem ganzen neuen Gesangbuch. Maria gibt den Ton an ….», kommentiert die ref. Pfarrerin Dorothea Wiemann (NSK 1/1998). Der Gesangbuchanalytiker Heinrich Riehm hat diese Zusammenarbeit mehrfach gewürdigen: «Der ständige Kontakt beider Gesangbuchkommissionen unter einander bei der Erarbeitung beider Bücher führte zu Lösungen, die bei aller Gemeinsamkeit und inneren Übereinstimmung doch je ihr eigenes Profil wahren. Bei aller Wahrung der eigenen Tradition und des eigenen Profils bleibt doch die Parallelität (des KG) mit dem Gesamtaufbau des RG erstaunlich» (H.Riehm). Hier zeigen sich erste Ansätze zum gemeinsamen christlichen Gesangbuch. (ebd.).

Dies alles signalisiert einen Abbau von Berührungsängsten, eine unverkrampfte Offenheit und Bereitschaft zum Geben und Nehmen. Zwei kleine Beispiele können für viele andere stehen: Das bekannte «Tägliche Gebet des Bruder Klaus» (Niklaus von Flüe) war im Entwurf des RG als Lesetext abgedruckt. In der letzten gemeinsamen Sitzung der Gesangbuchkommissionen wurde die dazu gehörende Melodie aus dem KG ins RG übernommen. Umgekehrt finden sich im Cantionale (Vorsängerbuch zum KG) 50 mehrstimmige Singsätze des RG zu KG-Liedern, was in Zukunft Chöre und Gemeinden zu intensiverem Zusammenwirken motivieren wird.

Preis der Liedökumene

Das Jahr 1966 brachte der Deutschschweiz das erste überdiözesane Gesangbuch (KGB). Bis dahin gab es mitunter in drei Diözesen unterschiedliche Fassungen desselben Liedes (z.B. Freu dich, du Himmelskönigin). Das deutsche «Gotteslob» (1975) setzte mit seinen 90 ö-Gesängen und einer Auflage von über 21 Millionen Exemplaren ökumenische Marksteine, die nicht mehr zu umgehen waren. Umgeben von unsern Nachbarn in Deutschland, Österrreich und Südtirol wurde die Schweiz im Blick auf viele Liedfassungen zu einer Singinsel. Auf den Preis der Liedökumene hat die AÖL 1973 mit ihrer ersten Publikation «Gemeinsame Kirchenlieder» (GKL 1973) aufmerksam gemacht: «Wie immer, wenn eine Einigung erzielt werden soll, musste jede Seite bereit sein, Opfer zu bringen. Die AÖL ist aber der Ansicht, dass diese Opfer in keinem Fall für irgendeine Seite unzumutbar sind und dass ihnen aufs Ganze gesehen ein grösserer Gewinn gegenübersteht.»

Die Gründe, weshalb im KG 44 Melodieänderungen vorgenommen wurden, sind äusserst komplex und in jedem Einzelfall begründbar. In mehr als zwanzig Fällen gab dazu die bessere ö-Fassung den Ausschlag. Oft gelang dies durch den Rückgriff auf eine markantere, weniger zersungene Urfassung (KG 134,138). Gelegentlich führten Abschreibefehler zu verschiedenen Eigentraditionen (KG 83). Verschleisserscheinungen zeigten sich nicht selten in der Glättung von Rhythmen, die es zu korrigieren galt (236, 381). Zehn Lieder erhielten eine neue Melodie, die im KGB kaum gesungen wurden und mit der GL-Melodie eine neue Chance bekamen (209, 505), einigen, erfahrungsgemäss selten gebrauchten Liedern (Engel, Heilige) wurde eine bekannte Leihmelodie zugeordnet (443, 785). Während Textänderungen weniger schwierig empfunden werden, erweisen sich Melodieabweichungen öfters mühsamer als das Erlernen eines neuen Liedes. Sie waren aber auch im Blick auf die grenzüberschreitende Ökumene aus der Optik der Bischöfe nötig, die «ein späteres Zusammengehen mit dem Gotteslob nicht verhindern» wollten. (DOK 1995).  Dieses Ziel wurde mit einem gemeinsamen Liedbestand von rund 70% gewährleistet; darüber hinaus stammt eine überwiegende Zahl der Kehrverse aus dem GL sowie alle Psalmen und praktisch alle Elemente zum Stundengebet. 

Hürden in der Liedökumene

«Jede Gesangbucherneuerung geschieht im hochsensiblen Prozess sorgfältig abwägenden und kritischen Sammelns, Sichtens, Bearbeitens und Entscheidens. Kompromisse im Detail, wie im Grossen und Ganzen gehören unvermeidbar dazu  ̶  so schmerzhaft sie Einzelne oder Gruppen berühren mögen. So gelangten die beauftragten Kommissionen immer wieder an klar gesetzte, praktisch unüberwindbare Grenzen.» (H-J.Stefan / W.Wiesli, in: Heiliger Dienst 2000, S.177).  Dies schmerzt besonders, wenn es sich um Lieder handelt, die allen Konfessionen teuer sind wie beispielsweise das Weihnachtslied «Es ist ein Ros entsprungen». Das strittige Problem findet sich in der zweiten Strophe, wo die Schlusszeile «und blieb doch reine Magd» von den reformatorischen Kirchen als bleibende Jungfrauschaft Marias gedeutet wurde.  «Ros» (1.Str.) und «Röslein“ » (2.Str.) meinen Maria, das Blümlein, das sie uns brachte, ist Jesus. Der strenggläubige Lutheraner Praetorius (†1621), der um den katholischen Ursprung des Liedes wusste, versuchte das Lied reformatorisch zu verbessern. Es wollte den marianischen Verkündigungsgehalt abzuschwächen zugunsten einer stärkeren Betonung der Person Jesu. «das Röslein, das ich meine» ist für Praetorius nicht mehr Maria, sondern Jesus: „Das Röslein ... hat uns gebracht alleine Marie, die reine Magd. «Damit hat er eine stärkere christologische Ausrichtung erreicht, die durch den Versschluss «welches uns selig macht» noch verstärkt wird. Diese Liedgeschichte zeigt, wie sensibel die konfessionelle Befindlichkeit wird, wenn Überzeugungen (auch nur vermeintliche) angetastet werden, die für ein Bekenntnis eine Art Signalwirkung haben.

In einen ähnlichen Konflikt gerieten umgekehrt die Katholiken mit der zweiten Strophe des Lutherliedes «Aus tiefer Not schrei ich zu dir» (KG/RG 384/83). Die pointierte Kurzfassung von Luthers Rechtfertigungslehre, die so im Psalm 130 nicht steht, wäre 1966 im KGB noch nicht möglich gewesen: «Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben; es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben.»  Klärende ökumenische Diskussionen haben für Katholiken diese Probleme aus dem Weg geräumt. (vgl. Leuenberger Konkordie 1973).

Profile wahren

Das RG führt in seinem Repertoire von 655 Gesängen 151 nichtliedmässige Singstücke auf: Rufe, Kehrverse, Kanons, Gesänge in offener Form. Dies zeigt die erwähnte ökumenische Annäherung: «Sowohl die liturgische Situation als auch die Diskussionslage haben sich in unseren beiden grossen Konfessionen einander angenähert, sind von verschiedenen Seiten her in einem gemeinsamen Feld angelangt, wenn auch die Gewichte nach wie vor unterschiedlich verteilt sind: Der Liedanteil im Reformierten Gesangbuch ist immer noch deutlich höher als im Katholischen Gesangbuch von 1998.» (A.Marti, Lied und Liturgie, in: FS ’Geistliche Musik und die Jesuitenkirche Luzern’. Luzern 2002, S.306).

Dies hat einleuchtende Gründe: Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums hat das Lied zwar funktional und im Blick auf die Verkündigung erheblich aufgewertet. Doch als alleinige Ausdrucksform für eine kommunikative, dialogale und rollenorientierte Liturgie kann es nicht genügen. Ein wesensgemässer Vollzug, der die tätige Teilnahme der Gottesdienstgemeinde mit einschliesst, bedingt eine Vielzahl von Gesangsgattungen, das Inhaltsverzeichnis des KG kennzeichnet die neun Typen. Dies fordert u.a. spezielle liturgische Dienste (Vorsänger/ Vorsängerinnen, Chöre), ohne deren Mittun die Dramaturgie der Liturgie nicht voll entfaltet wird. Das Lied hat formal und inhaltlich eine geschlossenere Form. Selbst Liedparaphrasen zum Gloria oder Credo passen sich nur bedingt in den Duktus des liturgischen Spannbogens ein.     

Neben der funktional begründeten Anreicherung nichtliedmässiger Gesänge, gibt es für die katholische Gottesdienstpraxis inhaltliche Vorbehalte gegenüber einem Teil der reformierten Liedtradition. Ein ausgeprägtes Beispiele sind die pietistischen Glaubensliedern des Barock, die mit ihrer «Fremdheit … erscheinen,» (ebd.) wenn jemand sie von Kindsbeinen an kennt. «Wenn dazu nun noch der historische Abstand kommt, das veränderte Gottes- und Menschenbild, die völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, vom heute oft befremdlich erscheinenden Sprachstil gar nicht zu reden, dann liegt es auf der Hand, dass die Integration in die heutige Liturgie als wenig sinnvoll oder gar unmöglich erscheinen kann.» (ebd.): Mehrheitlich konzentriert sich deshalb unsere Liedökumene auf das 16. und 17.Jahrhundert (ca. 54 Lieder) und noch ausgeprägter auf des 20.Jahrhundert mit über achzig Liedern.

Bemerkenswert ist eine zwischen den Konfessionen mindestens teilweise unterschiedliche Sprachwahrnehmung. Der Hoheitstitel «Herr» (Kyrios) für Jesus Christus ist uns aus der Liturgie vertraut und in Analogie dazu für Gott nicht fremd. Das RG braucht ihn vorwiegend für Gott, oder ersetzt ihn durch «Ewiger» oder «Schöpfer». Dieses Anliegen haben damals verschiedene Gruppen mit Nachdruck verfolgt: «Die reformierten Gesangbuchgremien waren durch zahlreiche Änderungswünsche von Seiten des Schweizerischen Evang. Kirchenbundes, bzw. einer Arbeitsgruppe des Schweizerischen Evang. Kirchenbundes im Rahmen der Frauen-Dekade konsequent zu alternativen Umschreibungen des Tetragramms aufgefordert worden.» (H.-J. Stefan, Referat anlässlich der Einführung des KG Einsiedeln 10.März 1998.). 

Ökumene ganzheitlich

Bei genauem Zusehen ist nicht so sehr die Summe der Materialien als vielmehr das Konzept von KG und RG neu, jedenfalls markieren sie darin einen Paradigmenwechsel: Sie sehen die Gottesdienstgemeinde als das Subjekt des Feierns und signalisieren Wege, wie sich dies in der Wahrnehmung der Welt bewahrheitet und in der christlichen Praxis bewährt. Die Katholiken werden sich an einschlägige Konzilstexte des Zweiten Vatikanums erinnern, aber auch daran, dass solche Verlautbarung leicht in der Sammlung grosser Worte zu den Akten gelegt werden: «Es geht um die Rettung des Menschen…. Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt» (GS, Art 1-3). So zu lesen am Beginn des letzten Dokuments des II.Vatikanischen Konzils. Dies umzusetzen im Prozess der Globalisierung, die immer grössere Teile der Weltbevölkerung ausgrenzt und im Gegenzug immer mehr militante Bewegungen des ethnischen Integralismus und religiösen Fundamentalismus produziert, wird zur Testfrage an die christliche Religion. Damit öffnet sich die Optik der Ökumene und deren Gesangbuchverantwortung auf viel offenere Horizonte: Wir müssen «zu neuen Formen der Nachbarschaft und des Zusammenlebens zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Prägung und Überzeugung finden.» (K.Raiser ÖRK, SKZ 1998 S.422 ). Dieser Satz, gesprochen vom Generalsekretär des ÖRK Konrad Raiser, ist genau so alt wie das KG. Raiser beantragt weniger ökumenische Organisation auf internationaler Ebene als viel mehr eine lebendige Gemeinschaft von Kirchen, «die einander als Weggenossen auf der ökumenischen Pilgerreise annehmen und einander in wechselseitiger Rechenschaftspflichtigkeit verbunden sind» (H-J.Stefan). Die Übung läuft, bringen wir sie ans Ziel!

Walter Wiesli




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