Katholisches Gesangbuch

Liturgiesprache   

Umgangssprache als Grundsatz

Für die Gottesdienstbesucher erwies sich vordergründig der Gebrauch der Volkssprache als die auffälligste Frucht der Liturgiereform. Die meisten freuen sich darüber, einige nehmen daran Anstoss. Die Liturgiegeschichte zeigt, dass die Kirche in ihren Anfängen und in ihren ersten Jahrhunderten dem Grundsatz des volkssprachlichen Gottesdienstes folgte. In Rom sprach man bis ins dritte Jahrhundert hinein das so genannten Koiné-Griechisch als dominierende Umgangssprache. Sie war damit ganz selbstverständlich die Liturgiesprache, wie uns die Kirchenordnung des Hippolyt von Rom (+235) bezeugt. Mit der Regierungszeit des Kaisers Decius (249-251) setzt eine Restauration des Lateins als Volkssprache ein und bringt damit das Problem der Verschiedenheit von Volks- und Liturgiesprache. Die römische Kirche entscheidet sich für den Grundsatz, dass die Liturgie in der Sprache des Volkes zu feiern sei, was dann unter Papst Damasus um 380 nachweisbar ist. Noch im Jahre 880 erklärt Papst Johannes VIII im Zusammenhang mit der Slawenmission des Cyrill und Methodius, es verstosse nicht gegen den rechten Glauben, die Messe in der Volkssprache zu singen oder die biblischen Lesungen in guter Übersetzung zu verkünden. Denn der Schöpfer der drei Hauptsprachen (gemeint sind Hebräisch, Griechisch und Latein) habe auch alle übrigen zu seinem Lob und seiner Ehre hervorgebracht.

Latein zum Schutz des Mysteriums

In der Folgezeit gewinnt das Latein in der Liturgie eine beherrschende Stellung, was mit teilweise recht fragwürdigen Argumenten begründet wurde. So widerruft Papst Gregor VII. im Jahre 1080 in einem Brief an den böhmischen König die Erlaubnis seines Vorgängers Johannes VIII mit der überraschenden Begründung, es habe Gott nicht ohne Grund gefallen, dass die Heilige Schrift in gewissen Gegenden verhüllt sei, damit sie nicht bei allseitiger Zugänglichkeit gewöhnlich werde und damit der Verachtung anheim falle oder von Menschen falsch verstanden in den Irrtum führe. Das Konzil von Trient (1545-63) zeigt sich moderater und verurteilt lediglich die Behauptung, die Messe dürfe nur in der Volkssprache gefeiert werden. Es verzichtet bewusst darauf, das Latein zur einzig möglichen Kultsprache zu erklären, und lässt damit die Tür zu weiteren Entwicklungen offen. In der Tat aber wurde in der Folgezeit das Latein als einzige Liturgiesprache immer wieder gefordert und hat 400 Jahre lang andere Tendenzen verunmöglicht.

Muttersprache als zwangsläufige Folge

Eine grundlegende Änderung wird durch das II. Vatikanische Konzil eingeleitet. Es stellt zwar in Artikel 36 der Liturgiekonstitution fest, dass der Gebrauch der lateinischen Sprache in den lateinischen Riten erhalten bleiben soll, gestattet aber zugleich aus pastoralen Gründen die Muttersprache «vor allem in den Lesungen und Hinweisen und in einigen Orationen und Gesängen». Diese Möglichkeit wird in den folgenden Jahren auf Antrag mehrerer Bischofskonferenzen und des für die Durchführung der Reform eingesetzten Römischen Liturgierates mit Zustimmung des Papstes um einiges erweitert, so dass heute praktisch die gesamte Liturgie in der Volkssprache gefeiert wird. Obwohl dies über den Wortlaut der Konzilsbeschlüsse hinausgeht, ist diese Entwicklung angesichts der Forderungen des Konzils nach bewusster und tätiger Teilnahme des Volkes und nach Anpassung der Riten an die Fassungskraft der Gläubigen, dennoch folgerichtig. Denn anders könnten die des Lateins Unkundigen die Liturgie nicht bewusst und verstehend mitfeiern. Vor dieser Notwendigkeit verlieren alle andern traditionellen Argumente für das Latein ihr Gewicht.

                                                                                                                                 Walter Wiesli




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