Katholisches Gesangbuch

Kirchenmusik bis zum Vaticanum II   

Die Kirchenmusik-Erlasse vor dem II.Vatikanum beschreiben die Gottesdienstmusik als eine isolierte Grösse ’an sich’, also ohne Rücksicht auf deren Funktion und die Gemeinde. Dies zeigt eindrücklich das Ringen der Pius-Päpste im vorigen Jahrhundert, die das Wesen von sakraler Musik in der Abgrenzung gegenüber profaner Musik definieren. Das Begriffspaar «sakral-profan» wird nun allerdings nie mit einem ästhetisch oder musikalisch fassbaren Inhalt gefüllt. Auch konkret angebotene Leitbilder wie der Gregorianischer Gesang oder die altklassische Polyphonie führen nicht weiter, weil unausgesprochen bleibt, worin denn das Exemplarische bestehen soll.

Papst Pius X

Die Forderung nach Sakralität erfüllt im Motu Proprio Pius X.  (1903) in höchster Vollendung der Gregorianische Gesang. Er tut es in solchem Mass, dass er auch für andere Kirchenmusik das Kriterium für deren Liturgiefähigkeit wird: «Eine Kirchenkomposition ist umso mehr kirchlich und liturgisch, je mehr sie sich in ihrer Anlage, ihrem Geist und ihrer Stimmung dem Gregorianischen Gesang nähert». [1] Es bleibt völlig offen, was mit «L’andamento, l’ispirazione, il sapore della melodia gregoriana» gemeint ist. Die Apostolische Konstitution

Papst Pius XI

Pius XI. warnt in «Divini Cultus Sanctitatem» (1928) wiederum vor der Vermischung von «Heiligem und Profanem.» [2] Sakral wird hier allerdings nicht mehr ganz so voraussetzungslos umschrieben, nämlich: «Der Majestät des Ortes und der Weihe der Handlung entsprechend.»

Papst Pius XII

Pius XII. beruft sich in seinem Rundschreiben «Mediator Dei» (1947) ausdrücklich auf die von Pius X. geforderten Wesenseigenschaften der Gottesdienstmusik: Heiligkeit, Güte der Form, Allgemeinheit.[3] Gefordert wird eine Heiligkeit, «die Neuerungen mit profanem Einfluss abhold ist.» Sakral heisst hier wiederum: Nicht profan, … nichts Gesuchtes und Ungewohntes.[4] Nochmals fordert Pius XII. in «Musicae Sacrae Disciplina» (1955) «sancta sit».[5] Die Inhaltsbestimmung geht insofern mehr über das herkömmlich «nihil profanum» heraus, als nun auch die Art der Ausführung besonders angesprochen wird. Profan scheint hier auf gleicher Ebene zu liegen wie «schreiend und lärmig.»[6] Die «Instructio de Musica Sacra» von 1958 besteht nochmals auf dem Gattungsunterschied zwischen «musica sacra» und «musica profana».[7] So gibt es auch Musikinstrumente, wie beispielsweise die Orgel, die ihrer Natur und ihrem Ursprung nach (natura et origine) kultfähig sind, andere Instrumente hingegen sind nach allgemeinem Empfinden sosehr der profanen Musik verhaftet, dass sie sich für die Liturgie keineswegs eignen.[8] Obwohl hier sakral und profan noch immer ziemlich absolut gesetzt werden, erscheint für die Bestimmung von «profan» ein neues Kriterium: Was dem profanen Bereich beizuzählen ist, entscheidet das allgemeine Urteil und Brauchtum.[9] Am Beispiel der zeitgebundenen Beurteilung von Instrumenten wird deutlich, dass damit nicht viel geklärt ist: Es ist bekannt, dass zur Zeit der Kirchenväter die «Flöte und Oboe als erotisch, die Trompete als kriegerisch, die Orgel als ans Theater erinnernd» empfunden wurden.[10]

«Musica sacra»

Einen erheblichen Fortschritt zur Begriffsklärung bringt 1967 das Dokument der Ritenkongregation «De Musica in Sacra Liturgia.» Im Grunde dokumentiert dieser programmatische Titel einen radikalen Bruch mit den ’Sakral-Profan-Kategorien’ der Vergangenheit. Leider aber wurde trotz dieser Überschrift und fruchtbaren Neuansätzen nochmals zwanzig Mal der Begriff «musica sacra» eingefügt. Kenner behaupten, dass dies erst nach Fertigstellung des Dokumentes geschehen sei, weil namhafte Gregorianiker dem Papst Vorhaltungen machten, mit der Liquidation des Begriffs «musica saca» würde die Kirchenmusik insgesamt liquidiert.

Vaticanum II

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird nicht mehr die Faktur (Kompositionsweise, Stil und Gattung) der Musik thematisiert, sondern deren Funktion, was die schwierige Diskussion «sakral-profan» zweitrangig erscheinen lässt. Ein Umdenken besinnt sich wiederum auf das Wesen der Gottesdienstmusik, nämlich auf deren Dienst. Sie wird künftig nicht mehr an sich, sondern in ihrer Funktion zum Ritus und zur feiernden Gemeinde beschrieben. Sie ist somit nicht mehr umso sakraler, als sie sich am Gregorianischen Gesang orientiert, sondern «umso heiliger, je enger sie mit der liturgischen Handlung verbunden ist».[11] Als Konsequenz folgt, dass «alle Formen wahrer Kunst, welche die[se] erforderlichen Eigenschaften besitzen» von der Liturgie zugelassen sind. Konkret heisst dies: Alle musikalischen Stilgattungen sind unter diesen Voraussetzungen in der Liturgie zulässig. [12]

Walter Wiesli



[1] Das Motu proprio «Inter pastoralis officii» des HI. Papstes Pius X. vom 22. Nov. 1903, Nr.3

[2] Die Apostolische Konstitution "Divini cultus sanctitatem" Pius XI. vom 20. Dez. 1928, Nr.8

[3] Enzyklika Mediator Dei «Über die heilige Liturgie» Pius XII. vom 20.11.1947, Nr.1: sanctitas, bonitas formae,    

  universalitas.

[4] Ebd. Nr.11

[5] Die Encyklika «Musicae Sacrae disciplina» Pius XII. vom 25.12 .1955

[6] nihil profanum, nihil clamosum et strepens, quod sacrae actioni et loci gravitati neutiquam conveniat.

[7] Instruktion über die Kirchenmusik und die heilige Liturgie vom 3.9. 1958

[8] ebd.: sacro usui aptari omnino nequeant

[9] ebd.: ... ex communi iudicio et usu

[10] J.Gelineau, Die Musik im christlichen Gottesdienst, Regensburg 1965

[11] SC 112

[12] ebd.




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