Liturgie als Spiel
«Spielen heisst, die Zukunft vorwegzunehmen, die böse Welt der Fakten Lügen strafen. Der Sinn wird vorbereitet, das Unvorstellbare und Unglaubliche zu akzeptietren, in eine Welt einzutreten, in der andere Gesetze gelten, von allen Gewichten befreit zu werden, die ihn niederdrücken, damit er frei sei, königlich, unbehelligt und göttlich» (Hugo Rahner).
Aussensicht
Versuchen wir, an die Liturgie von aussen heranzukommen, sie rein phänomenologisch zu sehen. Dazu eignet sich ein klassisches Paradigma: Das Letzte Mahl oder das Paschamahl Jesu. Gemäss 1 Kor 11 ist die eucharistische Handlung noch mit der abendlichen Agape verbunden. Nichtchristliche Zeugnisse zeigen, dass die eucharistische Feier bereits nach 100 auf den Morgen verlegt war und dass diese Feier eine einfache Form hatte, nämlich:
Erinnerung – Danksagung
Denken – Danken
Wort – Antwort
Stets ging es in irgendeiner Form darum, die Erinnerung an Jesus wachzuhalten, an seine Worte und Taten. Wer war er? Prophet, Lehrer, ein heiliger Narr... (wie ihn christliche Mystiker gesehen haben; vgl. H.Cox, Das Fest der Narren)
Oder nochmals anders von aussen angegangen: Man stelle sich einen Nichteingeweihten vor, wie er einen christlichen Abendmahls- oder Eucharistie-Gottesdienst erlebt:
Was geschieht? – es werden Geschichten erzählt
– man hört zu
– man ruft zu, akklamiert
– alte Gedichten, Lieder werden vorgetragen oder gesungen.
– die Rede ist von Klage, Leiden, Freude, Dank, Zweifel, Suche nach Gott.
– es werden Gebete gesprochen, von Einzelnen, von Gruppen.
– es wird gegessen und getrunken: Brot wird verteilt, Wein wird gereicht
– in gehobener Feierlichkeit, in gewählter Sprache, besonderer Kleidung
– und in spezieller Raumordnung
Wozu all dies? – Wachhalten einer ganz bestimmten Erinnerung
– Austausch mit der Gottheit in Wort und Mahl
– Anteil an der Gottheit
– Hoffnung auf ein bleibendes Leben und eine neue Welt
– vorweggenommen durch den Einen, dem diese Hoffnung verdankt wird.
So kommt man (ansatzweise) von einer Phänomenologie des Feierns zu einer Theologie des Feierns.
Dramaturgie
Liturgie lässt sich von aussen beschreiben als ein dramaturgisches Wort-Antwort-Geschehen. Auf die Actio Gottes folgt die Reactio des Menschen. Allerdings durchdringen sich diese Wirklichkeiten gegenseitig. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Antwortpsalm in der Messfeier: Die vom Wort Gottes Getroffenen antworten Gott mit dessen eigenem Wort, und andererseits ist die Antwort des Menschen immer schon geistgewirkt und geistdurchwirkt. Im Beten tritt immer schon der Geist für uns ein, «denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen» (Röm 8,26). Liturgie selber versteht sich als ein «admirabile commercium» (Ant. in der Weihnachtsoktav), einen heiligen Austausch, der allerdings nicht nur von oben nach unten erfolgt, sondern – damit dieses Geschehen überhaupt kommunizierbar wird – auf der zwischenmenschlichen Sprach- und Zeichenebene. Liturgie ereignet sich also auf einer differenzierten Interaktionsebene, die nach einer Vielfalt von Ausdrucksformen (Sprache, Musik, Bewegung) und Spielanweisungen (Rollenverteilung, Riten, Interaktionen) ruft. Die Dramaturgie dieses Wort-Antwort-Geschehens kommt dann am besten zum Tragen, wenn die dialogalen, kommunikativen und rollenspezifische Ausdruckselemente berücksichtigt werden.
Lied-Spielformen
Weil das Lied die gewichtigste musikalische Gattung unserer Kirchengesangbücher darstellt, sollen hier ein paar Hinweise folgen, wie sie das kommunikative bzw. dramaturgische Geschehen mittragen könnten.
Unsere gläubige Antwort ist «kein nur noetischer, emotionaler, moralischer oder sonstwie Reflex, sondern die durch das Wort Gottes im umfassenden Sinn in Bewegung gebrachte menschliche Existenz im Ganzen» (Herlyn, Singen unter den Zweigen S.14). Wie kann das Lied als eine «den Menschen bewegende Antwort» besser erfahren werden? Eine sehr hilfreiche Methode kann die Liedpredigt und die Liedkatechese sein. Es geht dabei um die Einführung eines neuen Liedes als Teil der gottesdienstlichen Verkündigung, die dann jeweils hinführen soll zu einer intensiveren Aneignung und Verinnerlichung des Wortes Gottes.
Beispiele
Die Liturgie lässt und liess auch eigentliche Spielformen zu. Denken wir an die Sequenzen an die entstammenden Osterspiele, Weihnachtsmysterien, Passionsspiele. Von einfachsten Bewegungen bis hin zu konkreteren Spielszenen (Bibliodrama) ist vieles. Im Liederschatz bieten sich dazu unmittelbar eigentliche Erzähllieder an, für die das KG teilweise auch bereits Personenzuweisungen angibt:
Erstanden ist der heilig Christ KG 438
Es ist für uns eine Zeit angekommen KG 349
Ein Kind geborn zu Betlehem KG 353
Hört das Lied der finstern Nacht KG 394
Man kann sich eine Kindergruppe vorstellen, die eine biblische Szene zum Gesang einer andern Gruppe pantomimisch darstellt. Man kann aber auch eine Geschichte (z.B. die Passion mit KG 394) mit einem dieser Lieder durchsetzen und damit den Bildgehalt verstärken. Auf wirksame Weise lassen sich Lieder in Bewegung umzusetzen in Lied-Tänzen. Die Legitimation dazu ist uns bereits dadurch gegeben, dass manche Lieder nach Tanzmelodien geschaffen wurden, z.B. KG 678 / oder KG 447 (ehedem ein Saltarello). Spielformen können sich aus dem Text der biblischen Botschaft ergeben. Als Beispiel diene der Tanz Davids vor der Bundeslade (2 Sam 6,12-26), ein beliebtes Thema der mittelalterlichen Mystik ist «Jesus der Tanzmeister»: I dansed in the morning (Kumbaya Nr.101), deutsch: Ich tanzte am Morgen, da geborn war das All (Kumbaya Nr.103).
Walter Wiesli