Katholisches Gesangbuch

Gregorianischer Gesang   

Das älteste Gesangsrepertoire der römischen Kirche wurde im Mittelalter dem Reformpapst Gregor dem Grossen zugeschrieben (†604).  Nach heutigen Erkenntnissen stammt das «klassische Repertoire» des Gregorianischen Gesangs aus der römisch-fränkischen Kultur des achten bis neunten Jahrhunderts, das eine ausgeglichenere Fassung der vorausgehenden römischen Kantilene darstellt. Ab dem 10.Jh. beginnt die schriftliche Erfassung in klösterlichen Schreibstuben mit lokal meist unterschiedlichen Neumenschriften. Die zeitlichen Angaben in unsern Choralbüchern (z.B. saec. XI) bezieht sich auf die erste Handschrift, nicht auf die mutmassliche Entstehung. Das Repertoire ist stilistisch uneinheitlich. Zum ältestesten Bestand gehört das Messproprium. Eigenständiger ist das Messordinarium neben den andern Typen wie Sequenzen, Tropen und Hymnen. Schon in der Blütezeit des 11.Jh. beginnen Zerfallserscheinungen bis zur völligen Verstümmelung im 17.und 18.Jh. Enorme Verdienste um die Reform hatte das Benediktinerkloster von Solesmes (Sablé sur Sarthe F) im 19./20.Jh. und die Förderung durch Papst Pius X durch sein «Motuproprio» 1903. 

Die drei im KG vorliegenden Messen und Einzelstücke entstammen der «Editio Vaticana» des Graduale Romanum (1908). Die Notation im Vierliniensystem hat ihre spezifische Stärke im Eingehen auf die Wort-Ton-Beziehung, die dieser Gesangsart eigen ist und sie von der mensurierten und taktgebundenen Musik wesentlich unterscheidet. Dabei leisten die G1iederungszeichen wichtige Interpretationshilfen. Es sind dies der Viertelstrich (auf der obersten Linie), der Halbstrich (in der Mitte des Liniensystems) und der Ganz- und Doppelstrich. Je nach Grösse des Zeichens bewirkt es in der Regel eine kleinere oder grössere  Verbreiterung der vorausgehenden musikalischen Einheit, einer Einzelnote oder eines Motivs. Der Kontext entscheidet, ob eine musikalische Kadenz (ein Schluss oder Halbschluss) gemeint und eine kleine Atemzäsur zulässig ist. Beim Halbstrich kann Atem geschöpft werden ohne allerdings den rhythmischen Fluss zu unterbrechen. Beim Ganzstrich fügt man in der Regel eine Zäsur vom ungefähren Wert einer Note ein. Der Doppelstrich findet sich am Ende eines Stücks oder er deutet innerhalb eines Gesangs den Wechsel zwischen zwei Chorhälften an. Das letzte Zeichen (Custos) einer Notenlinie macht auf den ersten Ton der nächstfolgenden Linie aufmerksam. Das waagrechte Strichlein (Episem) über einer Note oder Notengruppe bewirkt eine geringfügige Verbreiterung, über deren Gewicht der musikalische Kontext entscheidet.                                                                             

Walter Wiesli




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