Katholisches Gesangbuch

Oster-Leitmotiv   

Das musikalische Leitmotiv: Christ ist erstanden

Mit der Glaubwürdigkeit des Satzes «Der Herr ist wahrhaft erstanden» (Lk 24,34) steht und fällt der ganze christliche Glaube, denn «wenn Christus nicht erweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos und ihr seid immer noch in euren Sünden» (1 Kor 15,17). So wundert es nicht, dass das Bekenntnis «Christ ist erstanden» zum eigentlichen – auch musikalischen Leitmotiv der Osterfeier wurde.

Christ ist erstanden (KG 462)

Dieses vermutlich älteste Kirchenlied in deutscher Sprache reicht zurück ins 12.Jahrhundert. Das abschließende Kyrieleis des ursprünglich einstrophigen Liedes gab diesem Liedtyp die Bezeichnung «Leise». Zahlreiche Dokumente bestätigen eine rasche Verbreitung seit dem 13.Jahrhundert und belegen seine große Beliebtheit. Im Volk und in Klöstern, bei Tafelrunden des Adels und auf Ritterburgen wird es gesungen, in Liturgie und Osterspielen ist es nicht wegzudenken. Immer wieder bricht die Begeisterung durch, die das Lied entfacht. So beispielsweise bei Georg Wicel im Jahr 1550: «Hier jubliert die ganze Kirch mit schallender hoher Stimm und unsäglicher Freude» (Psalter ecclesiasticus) und Martin Luther vermerkt: «Alle Lieder singt man sich mit der Zeit müde, aber das «Christ ist erstanden» muss man alle Jahre wieder singen». Im 15.Jahrhundert wächst eine zweite Strophe hinzu und wird das Halleluja in die dritte eingefügt. Bereits im 14. und 15.Jahrhundert ist der Brauch belegt, die lateinische Ostersequenz «Victimae paschali laudes» mit dem vom Volk gesungenen “Christ ist erstanden” zu unterbrechen. (Dies Ausführung ist auf der KG-CD “Vielfalt der Formen” Nr.14 festgehalten). Der Ursprung des Liedes scheint denn auch in dieser Sequenz zu liegen, deren Schöpfer Wipo von Burgund (995–1050) war (vgl. nächster Abschnitt). Beide Melodien charakterisieren ein herbes, klar strukturiertes Dorisch, eine ähnliche Motivik, das Vermeiden des Leittons h, die strenge Wortgebundenheit der Melodie und die Einfachheit des Aufbaus.

Victimae paschali laudes (KG 433)

Die Ostersequenz «Victimae paschali laudes» gehört zu den fünf Sequenzen, die nach der Reform des Tridentinums noch beibehalten wurden (nebst «Dies irae, Lauda Sion, Stabat mater und Veni Sancte Spiritus»). In fast tausendjähriger Tradition verbreitet besingt sie das Ostergeheimnis in dramatischer Entfaltung und zugleich klassischer Prägnanz. Im Gegensatz zu andern Sequenzen liegt hier noch eine ursprüngliche Form vor: Kein einheitliches Versmaß, nur sibenzählend und ohne durchgängiges Reimgefüge.

Der Verfasser der Sequenz Wipo von Burgund (Kurzform für Wigbert, auch Wigbert von Solothurn genannt) dürfte um 995 im deutschsprachigen Teil Burgunds in oder bei Solothurn geboren sein. Solothurn gehörte zum Bistum Lausanne, das wiederum dem Erzbistum Besançon unterstand. Seiner hohen Bildung verdankt er viele freundschaftliche Beziehung zu den Großen seine Zeit. Als Freund das Kaisers Konrad II nahm er 1027 an dessen Kaiserkröung in Rom teil, später wirkt er als Erzieher des jungen Heinrich III. Gegen Ende seines Lebens zog er sich ins bayrisch-böhmische Grenzgebiet zurück, um dort das Leben als Eremit um 1050 zu beschließen. Seine Präsenz in dieser Region erklärt vermutlich die dortige frühe Verbreitung von «Christ ist erstanden». Der anstößige Vers 6 der nachfolgenden Übersetzung nach dem Codex Einsiedeln 366 wurde im Römischen Missale von 1570 eliminiert.

1. Dem Osterlamm sollen Lobgesänge weihen die Christen.

2. Das Lamm hat die Schafe erlöst.

    Christus, ohne Schuld, hat die Sünder mit dem Vater versöhnt.

3. Tod und Leben rangen in wundersamem Zweikampf.

    Der Fürst des Lebens starb, als Lebender herrscht er jetzt.

4. Künd uns Maria, was du unterwegs gesehen hast.

    «Des auferstandenen Christus Grab hab’ ich gesehen und die Herrlichkeit des Auferstandenen

5. und Engel als Zeugen, das Schweißtuch und die Leinentücher. Auferstanden ist Christus, meine    

    Hoffnung. Vorangehen wird er den Seinen nach Galiläa.»

6. Glauben schenken muss man mehr Maria, der allein Wahrhaften, mehr als der Juden falscher Schar.

7. Wir wissen, Christus ist wahrhaft auferstanden von den Toten. Du siegreicher König, erbarme dich   

    unser.

Mit dem melodischen Duktus ist bereits eine klare Struktur gegeben: Die erste Doppelstrophe (Verse 2 und 3: dramatische Schilderung des Erlösungsgeschehens) benützt die oberen Register der Tonart (authentisches Dorisch), die zweite (Verse 4 und 5: osterspielähnlicher Dialog mit Maria) bewegt sich im tieferen Register (plagales Dorisch). Umrahmt werden beide Doppelstrophen von einem Aufruf zum Osterlob (Dem Osterlamm sollen Christen Lobgesänge weihen) und einem abschliessenden Osterbekenntnis (Wir wissen, Christus ist wahrhaft auferstanden).

Die Sequenz findet sich in zahlreichen Handschriften des 11. und 12.Jahrhunderts. Zu den frühesten mit Neumen (Notenschrift) versehenen Manuskripten gehören die aus Benediktinerklöstern stammenden Codices Einsiedeln 366 (12.Jh.) und Rheinau 132 (11.Jh.).

Die vom ältesten deutschsprachigen Osterlied angestimmte Osterbotschaft «Christ ist erstanden» findet ein Echo in der Musikgeschichte aller Jahrhunderte. Das KG nimmt sein Eingangsmotiv mit den Tönen «a-g-a-c-d-a» in mehreren Gesängen auf, die nachfolgend kurz vorgestellt werden:

Christus und alle , Christus und alle Welt (KG 453)

Zu einem Text von Kurt Rose (†1999) verbindet Linus David (†2004) auf originelle Weise fast intervallgetreu das Kopfmotiv des Liedes «Christ ist erstanden».  Der zweizeilige Ruf eignet sich als Leitvers und lässt sich auch als Kanon ausführen.  Im «Cantionale» (S.316) entfaltet er sich zur Vierstimmigkeit, wobei das überraschend eingeführte Oster-Halleluja (KG 429.1) die Führung übernimmt und einen strahlenden Dur-Schluss herbeiführt.

In der Welt habt ihr Angst (KG 448)

Völlig anders nähert sich Friedemann Gottschick (*1928) dem Ostermotiv. Monoton hämmern 15  gleiche Töne in anapästischen Rhythmen (. . –) Jesu Worte aus den Abschiedsreden «In der Welt habt ihr Angst».  Die Rhythmusfolge wirkt wie ein von beklemmender Angst verkrampftes Herzpochen. Im Aufstieg zur Terz und in der Trost-Zusage löst es sich allmählich, um nach einem Terzsprung im Ostermotiv in die befreiende Botschaft einzumünden: «Ich habe die Welt überwunden» (Joh 16,33b). Die Gemeinde nimmt sie auf und bekennt: «Christ ist erstanden».

Das könnte den Herren der Welt ja so passen (KG 444)

Nach dem in der Kirchenliedgeschichte  bekannten Parodieverfahren greift Peter Janssens (†1998) Motive des Osterliedes «Christ ist erstanden» zur Vertonung eines Textes des Dichterpfarrers Kurt Marti (*1921) auf. Zu Motiven des ältesten Osterliedes wird auf überraschende Weise eine politische Botschaft transportiert: Die Vertröstung auf die jenseitige Auferstehung darf nicht genügen. Der Text insinuiert, dass die «Herren der Welt» die von ihnen Unterdrückten und Geknechteten mit dem Trost auf das jenseitige Glück darniederhalten und gefügig machen. «Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden, ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren.»  Angeprangert wird jede Herrschaft, die Menschen und das Leben insgesamt unterdrückt, ausnützt und versklavt. Dem «Suchen, was droben ist» (Kol 3,1) wird als Folge der Auferstehung Jesu ein ebenso konsequentes Handel «nach unten» gegenüber gestellt.  Der «Fürst des Lebens» (Ostersequenz) fordert den kompromisslosen Einsatz für das Leben. Nachdem die Melodiemotive 1 und 2 zu Beginn des Liedes ihre Signalwirkung nicht verfehlen, bleibt trotz leichter Veränderung der Motive 3, 4 und 5 die Assoziation an den Ursprung der Melodie ungeschmälert erhalten.

Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben (KG 311, Ka)

Nochmals klingt das Ostermotiv auf in einem kurzen Kanon, den das KG in der Adventszeit platziert. Das Ostermotiv (a-g-a-c-d-a), mit der sich die jesajanische Verheissung auf Zukunft und Hoffnung hier assoziiert, gibt eine christliche Deutung, wie und wo sich alle prophetischen Hoffnungen erfüllen.  

Der Komponist Arthur Eglin (*1932) nutzt hier nochmals die motivische  Signalwirkung, die keiner weiteren Erklärung bedarf. 

Amen, Halleluja (KG 122.4)

Im Bemühen, dem wichtigsten Amen-Ruf in der Eucharistiefeier mehr Gewicht zu geben, bietet das KG sechs mehrstimmige Amen-Vertonungen an, die sich an den Schluss der Grossen Doxologie anfügen lassen. KG 122.4 nimmt zunächst unisonisch das Ostermotiv a-g-a-c-d-a auf  und führt es mit dem ersten Motiv des österlichen Halleluja (KG 429.1) in einen vierstimmigen Dur-Schluss.

Walter Wiesli

 

 




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